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Abberation, Nutation und Parallaxe
#1
Hallo!
In der letzten Zeit habe ich mich mit dem Heliozentrischen System näher beschäftigt. Je länger, desto mehr wundere ich mich über die drei (!) kopernikanischen Erdbewegungen: um die Sonne (einmal im Jahr), die Kreiselbewegung der Erddrehachse um den Himmelsnordpol (in 25.800 Jahren für die Jahreszeiten) und freilich die Drehung der Erde um sich selbst an einem Tag. Letzteres hat Kant ja als die eigentliche Kopernikanische Wende bezeichnet, nicht also die Drehung um die Sonne. Exclamation

Jenseits philosophischer Aspekte geht es mir hier astronomisch um die ganz praktische "Beweisbarkeit" des ganzen, die ja angeblich in der Messung von Abberation, Nutation und Stern-Parallaxe liegt. Liest sich langweilig, ist es aber m.E. überhaupt nicht.

Also, um hier mal die lockere Frage in den Forums-Raum zu werfen:
wie messe ich denn eigentlich diese Abberation, Nutation (der Präzessionsbewegung überlagerte Bewegung in 18,6 Jahren) und Stern-Parallaxe?
nicht nur theoretisch? sondern praktisch, heute?
mit unseren Fernrohren, Teleskopen, Kameras?
Quantitativ und vor allem Qualitativ anspruchslos, schreiben wir mal auf 10% genau?

Hat jemand Lust sich mit mir auf die historisch, astronomischen Pfade zu begeben und sie praktisch nachzuvollziehen?
Das Projekt zieht sich ja mindestens auf ein halbes Jahr hin, am besten man lässt sich dazu etwas länger Zeit.

PS an die ADMINS:
Mir ist nicht so ganz klar in welchen Bereich meine Beobachtungsanfrage gehört, ich tu sie mal ins "Aktuelle"...
Ruhig verschieben, wo es besser hinpasst.
Viele Grüße
Christoph

https://www.klostersternwarte.de
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Andreas Paul (05.07.2016), Martin.F (06.07.2016)
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Andreas Paul (05.07.2016), Martin.F (06.07.2016)
#2
Hallo Christoph,

einer meiner ersten Gedanken nach dem Lesen war: "Meridiankreis".
Meridiankreise sind hochpräzise Instrumente, um Höhenwinkel und
exakten Zeitpunkt des Meridiandurchgangs von Himmelskörpern zu bestimmen.

Dann habe ich in dem kleinen "dtv-Atlas zur Astronomie" nachgelesen,
worum es sich bei Abberration, Präzession und Nutation denn handelt.

Präzession und Nutation bilden sich als Veränderung
der Höhenwinkel  und der Meridian-Durchgangszeiten ab.
In einem halben Jahr wird sich da nur wenig tun, vermute ich.
Sollten wir das Beobachtungsprogramm nicht lieber auf 37,22 Jahre ausdehnen?
Das würde zwei Nutationsperioden umfaßen.
Und das mit der Präzession, wäre eher ein Mehrgenerationen-Projekt.

Große Ehrfurcht nötigt ab, daß die Präzession bereits im alten Babylon bekannt war:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4zession

Die Abberration (das verflixxte Wort hat zwei doppelte Konsonanten)
habe ich irgendwie nicht wirklich kapiert.

Um ganz praktische Messungen durchführen zu können, bräuchte es wohl
stationär aufgestellte Instrumente sowie regelmäßige und genaue Messungen.
Tycho Brahe verwendete Mauerquadranten. So ähnlich dürfte im Altertum
auch gemessen worden sein? Wie haben die das eigentlich gemacht
in Babylon und wo auch immer?

Krasses Thema, lieber Christoph!

Viele Grüße,
Andreas
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Christoph (06.07.2016)
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Christoph (06.07.2016)
#3
Hallo Christoph,

Deine Frage war, wie man Abberration, Präzession und Nutation messen tut.
Direkt garnicht, das geht nur indirekt.

Man bestimmt die Sternörter (https://de.wikipedia.org/wiki/Stern%C3%B6rter)
einiger Sterne wiederholt über einen sinnvollen Zeitraum hinweg.
Jede einzelne Messung ergibt die jeweiligen scheinbaren Sternörter
(https://de.wikipedia.org/wiki/Scheinbare...%C3%B6rter).

Durch die Einflüsse von Abberration, Parallaxe, Präzession und Nutation verändern sich die scheinbaren Sternörter.
Mittels analytischer Geometrie darf man nun versuchen, diese einzelnen Einflüsse zu bestimmen.
Es ist ein paar Jahrzehnte her, daß ich mich mit analytischer Geometrie beschäftigt habe.
Es hat mir damals viel Spaß gemacht. Ob ich mich heute nochmal damit beschäftigen möchte???

Ganz am Beginn steht die Frage, welche Veränderungen der scheinbaren Sternörter zu erwarten sind.
Daraus ergibt sich, mit welcher Genauigkeit die Bestimmung der Sternörter durchgeführt werden sollte.
Bei der Durchführung der Messungen wird man sich wohl auch mit Fehlerrechnung beschäftigen dürfen,
also der Ermittlung, wie Ungenauigkeiten der Meßgeräte und deren Ablesung in die Ergebnisse eingehen
und wie vertrauenswürdig und fehlerbehaftet diese sind.
Und natürlich kann man sich Gedanken machen über Eigenbewegungen einzelner Sterne im Lauf von Jahren.

Die Frage, welche Veränderungen zu erwarten sind, steht in direktem Zusammenhang mit der Abschätzung
eines erforderlichen sinnvollen Zeitrahmens für die Bestimmung der Sternörter.
Sprich: Wenn eine Nutationsperiode 18,61 Jahre beträgt, in welchen Zeitabständen muß ich dann Sternörter
erfassen, um signifikante Veränderungen wahrnehmen zu können?

Für ein Kloster, meine ich, ist das ein würdiges Projekt. Auch für Physik in der Oberstufe.

Viele Grüße,
Andreas
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Christoph (06.07.2016), Florian B. (06.07.2016)
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Christoph (06.07.2016), Florian B. (06.07.2016)
#4
Hallo Andreas!
Du bestätigst leider meine schlimmsten Befürchtungen!
Abberration und Nutation sind wohl am besten mit einem Meridiankreis zu messen. 
Und das braucht Zeit! Nun. Hätte vielleicht vor 20 Jahren schon auf die Idee kommen sollen! Jetzt noch einen Meridiankreis anbauen Huh

Aaaber an der Parallaxe müsste doch was gehen!
Da die zwei in Frage kommenden Sterne auf der Nordhalbkugel Schnellläufer sind (61 Cyg und Barnards Stern) könnte ich erstmal genüsslich deren Bahn in den nächsten Jahren verfolgen. Da die "wackeln" müssten, würde das auch gleich die Parallaxe abwerfen. 

@ all
Deshalb nochmals die Einladung meinerseits in den nächsten Monaten die beiden Sterne mit hoher Auflösung bzw Brennweite abzulichten und mir die fits zu schicken. Exclamation
Viele Grüße
Christoph

https://www.klostersternwarte.de
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Florian B. (06.07.2016)
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Florian B. (06.07.2016)
#5
Hallo Christoph,

in SuW 02/2016, S. 8 gibtr es eine Andeutung, wie man im 19 Jhd. die Periheldrehung des Merkur besser 0.4'' bestimmt hat. (Datenauswertung vieler Messungen). 
Unter < http://www.hs.uni-hamburg.de/index.php?o...66&lang=de > ist was zum Thema Meridiankreismessung; dort sieht man daß die Geräte zur Winkelbestimmung sehr groß sind.
Ich denke mal daß das mit einer normalen Monti über Winkelmessung nicht zu machen ist. Evtl. kann man aus CCD Aufnahmen mit Vergleichssternen was rausfinden. Ob die Genauigkeit da reicht habe ich nicht nachgerechnet.
Wenn ich mich recht erinnere steht in "Jefremow, In die Tiefen des Weltalls", Teubner Leipzig (die guten alten DDR Bücher) was zum Thema.
Rupert
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Christoph (07.07.2016)
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Christoph (07.07.2016)
#6
Hallo Christoph,

Die Präzession läßt sich natürlich auch fotografisch nachweisen
und zwar recht einfach – theoretisch ...
Die Präzession bewirkt ja eine lang-periodische Verlagerung der Erdachse.

Mittels Langzeitaufnahmen des Polarbereichs in Zeitabständen von
einer ganzen Handvoll Jahren ist ein qualitativer Nachweis führbar:
Die Radien der Kreisbahnen der dortigen Sterne verändern sich
über die Zeit und deren gemeinsamer Kreismittelpunkt wandert.

Das dauert natürlich eine Weile. Aber wer wollte astronomische Vorgänge
mit dem Sekundenzeiger bemessen? Ist doch ein Erdenjahr astronomisch
gesehen noch nichtmal ein Wimpernschlag. *dozier*

Gechillte Grüße,
Andreas


 Quum respicio coelos tuos
   quid est mortalis!


PS
Christoph kennt diesen lateinischen Text, er hatte mir eine Übersetzung
gesandt, es ist eine Paraphrase auf die Verse 4 und 5 von Psalm 8,
wie durch einen seiner Mitbrüder herausgefunden wurde.

Wenn ich aufschaue zu Deinen Himmeln - was ist der Sterbliche!
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#7
Hallo Christoph,

es ist ein interessantes Thema, das Du hier ansprichst.
Aus den obigen Bemerkungen kann man schon erkennen, dass Präzession und Nutation für uns weit außer Reichweite liegen aus Gründen der Messdauer und -genauigkeit.

Ganz klar machbar ist die scheinbare Taumelbewegung der nächsten Sterne (Parallaxe) durch die Bewegung der Erde um die Sonne. Da will ich Dich gerne unterstützen bei der Sammlung von "Schnellläufer"-Aufnahmen.

Die Aberration hat ebenfalls die Bewegung der Erde um die Sonne als Ursache und ist von der Größe des Effektes gar nicht mal so klein: 40 Bogensekunden Verschiebung im Idealfall.
Ich habe mir überlegt, dass die beiden ekliptiknahen Sterne Aldebaran und Regulus eine gute Vorstellung davon geben könnten, was bei der Aberration für den Beobachter passiert.

   

In dem Bild ist skizziert, dass der eigentliche Abstand zwischen den beiden Sternen von 83° 13' 20'' bei der Opposition von Aldebaran (Anfang Dezember) um 20'' verringert ist und bei der Opposition von Regulus (Anfang März) um 20'' vergrößert wird.
Allerdings kann man diese Verschiebung nicht so einfach in einem Bild einfangen, es sei denn man kann wie die Gaia-Sonde verschiedene Himmelsbereiche auf eine Aufnahme projizieren. Aber dazu fällt mir momentan keine Lösung ein, die wir mit unseren Mitteln hinbekommen könnten.
Gruß Martin
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Christoph (09.07.2016)
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Christoph (09.07.2016)
#8
Hallo Martin!
An Dich hatte ich bei dem Thema auch gedacht...  Wink

Vielen Dank auch für die Skizze, die etwas die seltsame Aberration (! Abirrung !) erklärt. Die Lösung nannte ja schon Andreas und Rupert: am besten nutzt man einen Meridiankreis, mit dessen Hilfe die 83° 13' 20" ± 20" sicher zu messen wäre. Das ist ja beim Durchgang jeweils ± eine schlappe Sekunde Differenz im Durchgang! Sollte also messbar sein.
Nur, wie ich das mit einem Bild veranstalten soll, das ist mir noch unklar.
Hin- und herschwenken von der Montierung und jeweils Aufnahmen machen und die dann gemittelt auswerten? Huh 
Meine NJP-Z schnurrt ja sonst wie eine Katze vor sich hin, wenn sie sich gerade aus bewegen darf...

Oder besser einen Meridiankreis "simulieren": erst Aldebaran und dann Regulus beobachten bei abgestellter RA und nur schwenken im DE-Bereich. Müsste auch in einer (Vollmond-)Nacht möglich sein mit einer Zeitmessung, die genau genug ist. Geht alles mit einer ASI120 und Zeitstempel Aufnahmen.

Für die Parallaxe habe ich schon Bilder von Barnards Pfeilstern aus dem Netz gefischt. Allerdings für eine Messung der Parallaxe noch unbrauchbar, weil immer im Ende Mai, Juni, Anfang Juli fotografiert wurde.
Da ist aber 61 Cyg sicher die bequemere Variante von Stern, da er für uns hoch am Himmel und damit länger zur Verfügung steht. Zudem ist er auch noch heller und lässt sich damit besser von der Position her dingfest machen. Allerdings ist der Wert der Parallaxe auch nur die Hälfte von Barnards Stern.

@ all
Ich werde mal in den nächsten Nächten um Mitternacht erste Versuchsaufnahmen bei 2,7 m Brennweite machen und sie mal mit Astrometrica auswerten. Wer Lust hat, kann gerne mir fits-Aufnahmen mit ähnlicher Brennweite zur Verfügung stellen.

Eine dumme Frage gleich für die Auswertung: hat jemand von Euch eine Ahnung von Fehler- und Ausgleichsrechnung? Das Thema war mir vor dreißig Jahren in meinem Studium schon verhasst. Blush
Viele Grüße
Christoph

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#9
(09.07.2016, 10:53)Christoph schrieb: ...

Eine dumme Frage gleich für die Auswertung: hat jemand von Euch eine Ahnung von Fehler- und Ausgleichsrechnung? Das Thema war mir vor dreißig Jahren in meinem Studium schon verhasst. Blush

Hallo Christoph
bei Fehlerrechnung und Statistik wäre ich mit dabei. bei relativmessungen auf photografischen aufnahmen würde ich mehrere aufnahmen vermessen und dann die werte (z.B. Abstand  in Pixel) mitteln. nur mal zum vergleich: werkzeugmaschinen winkelencoder lösen 65535 werte auf, einfache prod. maschinen winkelencoder 4096.
ich sehe bei einer normalen monti immer noch das problem durch mech. Stabilität seinflüsse. Wir könnten ja mal versuchen wie genau man 2 bekannte Sterne messen kann (mehrere versuche und dann Statistik )
Rupert
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#10
Hallo Christoph,

zur Verlagerung der Polachse habe ich eine Grafik gefunden, welche
die Veränderung über die Jahre bzw. Jahrzehnte anschaulich macht:
   
Quelle ist eines meiner Astrofotografie-Lieblingsbücher,
"Handbuch der Astrofotografie" von Bernd Koch, Springer Verlag, 1995

Strichspur-Aufnahmen des Polbereichs, aufgenommen im Abstand
mehrerer Jahre, sollten die Verlagerung deutlich nachvollziehbar machen.
Ich würde das übernehmen. Bei mir hat sich gerade eine nicht mehr ganz
frische Astrokamera mit hochauflösendem sw-Großformat-Sensor
eingefunden. Exakt das richtige Gerät, um sowas anzugehen.
Wenn die Nächte wieder lang, klar und dunkel sind, erfolgt Projektstart.

Viele Grüße,
Andreas
Folgenden 1 User gefällt Andreas Paul's Beitrag:
Christoph (31.07.2016)
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Christoph (31.07.2016)
#11
Hallo Andreas!
Klasse, das ist ein eigener Ansatz an einer anderen "Ecke". Daumen hoch 

Dachte mir schon, dass die Präzession auch mit mittlerer Brennweite (um 1.000mm und 1" Auflösung) relativ schnell vermessbar sein müsste. Denn die Bewegung des Himmelspoles macht ja schlappe 20" pro Jahr ausmachen. Das müsste doch mit einigen Jahren deutlich und genau vermessbar sein bei Bildern des Polarsterns zusammen Himmelspoles!

Auch da ist der Vorteil, dass Vollmondnächte zur Messung genutzt werden können! Smile

Bin gespannt, was Du raus bekommst!

Ich hoffe, ich bekomme bald eine Messung von Barnard´s Stern und von Cyg 61 noch hin.
Viele Grüße
Christoph

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