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CEM60 Montierung
#1
In der letzten Zeit war ich hier nicht allzu aktiv - das hat mehrere Gründe. Zum einen meine Bequemlichkeit - der innere Schweinehund hat oft gewonnen, dann war ich einige Zeit montierungslos und jetzt stehen auch noch paar Umbauarbeiten an. Aber zumindest ist ein Teil der Arbeiten abgeschlossen, so dass ich mal wieder einen Beitrag, in dem Fall mit ein paar Neuerungen, einstellen kann:

"Das Teil wird mir einfach zu schwer" wurde in letzter Zeit immer mehr zu Fazit der Beobachtungsnächte. Gemeint war meine EQ6 mit 16kg Eigengewicht - nochmal deutlich über den Eigengewicht meines TAL-250K. Und mir reicht eben schon ein solches gewichtiges Teil ...
 
Kriterien
Damit ist aber das Hauptproblem schon genannt. Der Tubus des 10" Klevtsov bringt 13.7 kg auf die Waage. Je nach Ausrüstung muss man dann eben noch 2 - 2.5 kg addieren und recht genau bei diesem Gewicht gibt es bei den Montierungen offenbar eine Trennlinie. Will sagen: Es gibt zahlreiche gute und recht leichte und bezahlbare Montierungen, die so 10-12 kg (echt und nicht nach Datenblatt) sicher und stabil tragen, aber kaum noch welche die a) noch einigermaßen günstig, b) leichter als eine EQ6 und c) zuverlässig eine Traglast von 16 kg zuverlässig meistern.
 
Entscheidungsfindung
Bei meiner Recherche bin ich schon 2014 auf die US-amerikanische Firma iOptron gestoßen, die zwar in Massachusetts beheimatet ist, aber in China fertigt.
 
   
 
Was ihnen eine Sonderstellung verleiht, sind die außergewöhnlichen Montierung-Designs, die sie entwickelt haben. Damals war aber nur die iEQ45 auf dem Markt und deren PRO Version erst angekündigt. Die Tragkraft würde auf dem Papier zwar so gerade noch passen, aber das ist ja immer so eine Sache.
 
Aber ein Jahr später stieß ich jetzt bei iOptron auf eine Montierung, die sich CEM60 nannte und ein sehr "schräges" Design hatte in das ich mich erst mal Hineinsehen und Hineindenken musste. Dann aber ... und nach dem Lesen von vielen Testberichten, Reviews, Nutzermeinungen (meist auf CloudyNights) wurde das Teil für mich interessant. Die CEM60 gibt es in zwei Versionen (Stand 11/2015), einer "Normalversion" und einer "encodergestützten Version". Encoder machen vor allem Sinn, wenn man bei Astrofotografie auf das Guiding verzichten will (so a la TDM). Für eine Montierung mit Encoder ist die CEM60-EC zwar sehr günstig, aber für mich völlig überflüssig. Mir kam es ja vor allem auf die Relation Tragkraft - Eigengewicht an.
 
   
 
Die Tragkraft war mit 60 lbs (~28kg) so hoch angegeben, dass sie hoffentlich 50% davon auf jeden Fall trägt (zudem mit dem sehr kurzen Hebel beim TAL-250K und einem Berlebach Planet Stativ darunter). Das Eigengewicht der Montierung ist mit rund 12.4 kg sehr interessant, ein sehr guter Polsucher der nach der Beschreibung den der EQ6 weit hinter sich lässt, ein sehr präzises GoTo schon mit einem One-Star-Alignment (das klassische 3-Star-Alignment was auch den Konusfehler noch ausgleicht wurde mittlerweile per Firmware-Update nachgeliefert), ein heizbarer Handcontroller (OK, das ist hier ein netter Gimmick, aber die Finnen sind begeistert davon) mit einem großem Display und eine sehr intuitive Softwareführung (im Vergleich zur SkyScan/SynScan) ließen mich noch weiter aufhorchen. Dazu kommt - den Reviews nach - noch ein schneller und kompetenter Support, eine sehr leise Arbeitsweise, die doppelte Klemmung im Montierungsschuh (Vixen/Losmandy), ein anscheinend sehr zuverlässig funktionierendes GPS was die Einstellung der Koordinaten, Datum und Uhrzeit überflüssig macht und eine recht hohe Genauigkeit (der PE der Schnecke in RA liegt bei +/- 5").
Den letzten Ausschlag hat dann TS gegeben, das mir dann auch noch einen akzeptablen Preis darstellen konnte.

   
 
Unpacking und die Bedienungsanleitung
Das ganze Equipment kam mit drei großen Paketen an (9.5kg Gegengewicht, Berlebach Stativ, Montierung). Nach den positiven Erfahrungen mit dem Berlebach-Planet Stativ unter der EQ6 wollte ich auf keinen Fall auf diesen Zugewinn an Stabilität verzichten. Die Umrüstung meines vorhandenen Stativs käme aber so teuer, dass es tatsächlich sinnvoller war, das alte Stativ mit der EQ6 zu verkaufen und es passend neu zu bestellen. Nun, so kann man auch Umsatz generieren ...
Die fast 10kg Gegengewicht in einem 150mm Durchmesser fassenden Gewicht mit 28mm Bohrung sind schon ein Hammer und ehrlicherweise auch sehr unhandlich. Dazu später dann noch mehr.
 
   
 
Die Montierung kam in einem extra Alu-Transportkoffer mit passend ausgeschnittenen Konturen in einer Art hartem Schaumgummi. Durch die Forenberichte auf CloudyNights sensibilisiert, hatte ich mir schon vorher das umfassende Servicemanual und den QuickStart Guide (QSG) heruntergeladen und wiederholt gelesen. Der QSG war auch in einer deutschen Übersetzung dabei, aber im Vergleich zur ausführlichen englischen Dokumentation schon arg rudimentär. Also hielt ich mich lieber an das "Fully Manual".

   

Zunächst staunte ich aber über die Kompaktheit der Montierung und versuchte im geöffneten Koffer mit den Augen möglichst viele Dinge zu identifizieren ohne sie erst einmal anzutasten. Grund war das - für mich völlig neue - magnetische Klemmsystem zwischen Scheckenwurm und Zahnrad. In der Anleitung spielen bei dem "gear system" die Begriffe "engaged" (geklemmt, eingekuppelt) und "disengaged" (gelöst, ausgekuppelt) eine wichtige Rolle. In der ausführlichen Anleitung wird wiederholt darauf hingewiesen, dass eine unsachgemäße Behandlung der Montierung (was sich an der Klemmposition "engaged" statt "disengaged" festmacht) zu einer Beschädigung der Schnecke führt. Da schlich sich bei mir nun doch langsam etwas die Sorge ein, ob die Montierung nicht vielleicht doch ein hochgezüchtetes Labor-Sensibelchen, mit wenig Praxisbezug in den Anforderungen "auf dem Feld" sein könnte.
 
Nach wiederholtem Lesen, Betrachten, Nachfragen ... stellte sich das aber als recht unbegründet heraus. Letztlich waren es die "üblichen" Bedienungshinweise, die man auch bei Montierungen mit anderem Klemmsystem findet. Also Klemmen lösen beim Transport, Klemmen feststellen beim Laden der Optik, Vorsicht walten lassen im unausbalancierten Zustand beim Öffnen der Klemme(n) nur halt übertragen in die Termini "eingekuppelt" und "ausgekuppelt" und bezogen auf diese spezielle Antriebstechnik.
Ergo sollte man sich erst mal mit diesem Antriebs- und Klemmsystem vertraut machen.
 
"Engaged" und "Disengaged"
Grundsätzlich ist die CEM60 eine Montierung mit Schrittmotoren und Riemenantrieb. Der Riemenantrieb dreht eine Präzisionsschnecke mit einer Periode von 180 Sekunden, die wiederum in ein Zahnrad auf der jeweiligen Achse greift und diese bewegt. Die Geschwindigkeit reicht dabei von 1x (in allen Variationen wie King, sideral, lunar ...) bis zu 9x was 3.75 Grad pro Sekunde entspricht (mittlerweile ist das, glaube ich, per Firmware-Update auf 4.5 Grad pro Sekunde angestiegen). Dabei ist die die CEM60 auch in ihrer höchsten Schwenkgeschwindigkeit noch nahezu flüsterleise, so dass sie definitiv für den Einsatz in Wohnbebauung geeignet ist. Nicht immer selbstverständlich, wenn ich mich an meine EQ6 und ihre schnarrenden Getriebegeräusche erinnere.
Neu ist auch, dass starke Dauermagnete die Verbindung zwischen Zahnrad und Schnecke sichern und zwar so fest, dass in dieser "engaged" Position die Montierung absolut unbeweglich geklemmt ist. Dem gegenüber steht eine "disengaged" Stellung, bei der die Schnecke aus dem Zahnrad "herausgezogen" wird, so dass die Montierung nun völlig freigängig ist.
 
   
 
Die Veränderung zwischen den beiden Positionen übernimmt ein Drehknopf am Gehäuse, der gegen die Magnete arbeitet. Für den Betrieb der Montierung muss man eine Position der Schnecke finden, bei der die Montierung widerstandslos durch die Motoren bewegt werden kann, die aber weder zu locker (erzeugt Backlash) noch zu fest ist (bei den Motoren löst dann eine Rutschkupplung aus).
Faktisch stellt man also mit diesem System das Schneckenspiel ein, was auch sehr zuverlässig gelingt. Faustregel: Festdrehen (fully engaged), dann wieder 1/8 bis 1/4 Umdrehung lösen -> perfekte Postion und tatsächlich ohne Backlash.
 
Design
Schon beim ersten Blick auf die Montierung, fällt deren ungewöhnliche Konstruktion auf. Irgendwie schon parallaktisch, aber doch auch anders. Faktisch ist die RA-Achse geteilt: Eine Hälfte nimmt die Traglast auf, die andere das Gegengewicht. Dadurch entsteht so etwas wie eine englische Gabelmontierung für die Traglast, die aber an anderer Stelle durch die Gegengewichtsstange ausgeglichen wird.
 
   
 
Wird die Achse, die die Gabel trägt, nun auf den Pol ausgerichtet hat man eine parallaktische "CEnterbalanced Mount". Der Vorteil dieser Konstruktion besteht darin, dass der Schwerpunkt der Montierung faktisch auch über dem Schwerpunkt des Stativs liegt. Bei der klassischen deutschen parallaktischen Montierung ist das ja nicht so.
Natürlich kann bei einer deutschen parallaktischen Montierung (besser: muss man) mit den Gegengewichten einen Schwerpunkt über der Stativmitte schaffen (sonst würde das ja kippen). Aber dieser (virtuelle) Schwerpunkt liegt an einer Stelle, wo die Montierung selbst ihren Schwerpunkt (ihre "Mitte") nicht hat. Das ist natürlich ungünstig, weil man so gezwungenermaßen die Montierung "schwächt", aber eben unvermeidlich.
Bei der CEM60 sind die Schwerpunkte (Stativ, Montierung, beladene und ausgeglichene Montierung) nahezu identisch. Als Resultat kann man ein geringeres Gewicht, bei annähernd gleicher Steifigkeit realisieren und hat deutlich kürzere Hebelverhältnisse.
 
Traglast
Das obige führt zur optimistischen Prognose einer rechnerischen Tragkraft rund 60 lbs (~28 kg). Das ist natürlich auch (oder vor allem?) als Kampfansage an die G11 von Losmandy zu verstehen, die in etwa dieselbe Traglast, aber bei deutlich höherem Gewicht und Preis (vor allem in der vergleichbaren Gemini Version) aufweist, aber natürlich eine ellenlange Reputation hat und mit Wertigkeit, Steifigkeit und US-amerikanischer Produktion punkten kann.
 
Ob diese Traglastangabe von iOptron ein geschickter Schachzug war oder eher ein Bumerang wird, lässt sich noch nicht abschließend sagen. Aus Kanada habe ich habe die Rückmeldung, dass ein dortiger Astro-Verein die CEM60 mit einem C14 stationär auf einer Betonsäule seit einem Jahr nutzt und das visuell OK geht. Grundsätzlich ist das also keine reine Fantasie ...
Allerdings gibt es auch Rückmeldungen aus der Praxis die deutlich machen, dass 20kg plus X Traglast bei einem Teleskop nicht unbedingt 20kg plus X mit einem anderen Teleskop bedeuten. Kritisch wird es vor allem - wie sollte es auch anders sein - bei langen Hebelverhältnissen, also Fraunhofer-, ED-, APO- oder langbrennweitigen Newtonteleskopen.
Hier fehlen dann anscheinend doch Masse und große Querschnitte in der Montierung, die so ein Teil dann aber eben auch schwerer und voluminöser machen.
Bisheriges Fazit der Traglastdiskussion: Teleskope über 20kg sind noch gut möglich, notwendig ist aber ein ziemlich kompaktes Massezentrum über der Montierung. Kommen lange Hebelverhältnisse auf, geht das zur Lasten der Tragfähigkeit.
Zusätzlich ist ein qualitativ hochwertiges Stativ unter der Montierung Pflicht, wenn man auf Traglasten über 20kg abzielt. Ziemlich problemlos agiert die CEM60 im Bereich bis 14kg.
 
Da mein TAL-250K in der Summe mit dem jeweils schwersten Equipment, vielleicht 15-16kg auf die Waage bringt, sehr kurzbauend ist und das Berlebach Planet als Stativ auch noch seinen Teil zur Stabilität beiträgt, war ich sehr optimistisch, dass das ein "good match" sein würde.

OK, nachdem ich grade bemerke, dass nur 12 Attachments pro Beitrag erlaubt sind, setze ich das mal mit einem zweiten Beitrag fort. Und jetzt hängt auch noch der Server (Serverload-Limit Fehlermeldung). Ich hoffe mal ich bekomme das noch hochgeladen, bzw. den bisherigen Beitrag korrigiert. Sieht momentan etwas seltsam aus, so unkorrigiert ...

PS, bzw. EDIT: Für die Interessierten hänge ich mal ein auf die schnelle gemachtes Foto des Schneckenfehlers an.

   

Der liegt bei meiner CEM60 genau bei +/- 5" (manch´ ein anderer CEM60 Besitzer hat auch schon +/- 3"). Für mich ist das nicht sonderlich entscheidend, da ich ja eigentlich fast nur visuell unterwegs bin. Und wenn sich mal meine Vorlieben ändern, dann freue mich mich über die wunderbare ganz langsam und gleichmäßig steigenden/fallende Kurve. Wobei das nur der per Encoder gemessene alleinige Fehler der Schnecke ist - es gibt ja noch ein paar weitere Bauteile die den noch zusätzlich beeinflussen. Rein in der Theorie schwelgend könnte man sogar folgern, dass da in 20-25 sek. nur 2" Abweichung auflaufen. Aber wie gesagt ... reine Theorie. Wobei es ein paar Berichte  auf CloudyNights gibt, wo bis 500mm Brennweite ungeguidet rund 1-2 Minuten mit der CEM60 funktionieren. Vielleicht juckts mich irgendwann doch mal ...
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Die Nacht, in der das Fürchten wohnt, hat auch die Sterne und den Mond“
                                                                                                                              (Mascha Kaléko)  
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Nachrichten in diesem Thema
CEM60 Montierung - von Andreas-TAL - 20.12.2015, 20:29
RE: CEM60 Montierung - von Andreas-TAL - 20.12.2015, 20:58
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